Direkt zum Seiteninhalt springen
Das Bild zeigt ein abfotografiertes Transparent mit der Aufschrift: ""Artikel 27 der Verfassung der DDR / Jeder Bürger hat das Recht seine Meinung frei zu äußern"

Das Recht auf Meinungsfreiheit

Ein politischer Witz, ein zugespitzter Liedtext, kritische Bemerkungen über die Regierung auf dem Schulhof oder bei der Arbeit: Mit ihrer frei geäußerten eigenen Meinung brachten sich in der DDR viele Menschen in Gefahr. 

Zum Inhalt springen

Art. 19

der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten."

Das Recht auf eine eigene Meinung und ihre Äußerung ist ein hohes Gut. Es knüpft an das Recht auf Selbstbestimmung. Artikel 19 der UN-Menschenrechtscharta garantiert das Recht, sich frei jede Art von Informationen zu beschaffen und erteilt damit staatlicher Zensur eine Absage. Allerdings findet dieses Recht, wie andere auch, eine Beschränkung in der Beschneidung von Rechten anderer. Wer seine Meinungsfreiheit dazu nutzt, die Würde anderer zu verletzen oder zu Gewalt gegen sie aufruft, kann sich nicht auf das Recht berufen.

Art. 27

der Verfassung der DDR garantiert: "Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Dieses Recht wird durch kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis beschränkt. Niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht. Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens ist gewährleistet."

Auch die Verfassung der DDR garantierte Meinungsfreiheit, jedoch nicht als allgemeines Recht: Die Meinungsäußerung musste den Grundsätzen der Verfassung folgen, um „legal“ zu sein. Ein politischer Witz, ein zugespitzter Liedtext, kritische Bemerkungen über die Regierung auf dem Schulhof oder bei der Arbeit konnten schon strafrechtliche Folgen haben. 

Für die Staats- und Parteiführung bedeutete Meinungsfreiheit ein Risiko, vor dem es den sozialistischen Staat zu schützen galt. Entsprechend rigoros ließen die Herrschenden ihre Geheimpolizei gegen die Verbreitung von so genannter "staatsfeindlicher Hetze" (Strafgesetzbuch der DDR §104-106) vorgehen.

Auf einer Mauer sind mehrere Transparente aufgestellt. Die Losungen, soweit lesbar, lauten: "Volksentscheid", "Stasi in die Produktion", "Ich will kein Soldat sein", "Gelogen?!! Wir fordern Rechenschaft! Betrogen ?!!", "Einigkeit macht stark" und "Freie Wahlen".

Verfassung als Attrappe

In der Realität wurden den Menschen die in der DDR-Verfassung festgeschriebenen Rechte verwehrt. Eine kritische Meinung zum politischen System oder den Lebensbedingungen in der DDR konnte als „staatsfeindliches“ Handeln ausgelegt werden. Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen bildeten kein Korrektiv zur Version der Dinge aus Sicht der SED: Im Gegenteil: Sie waren staatlich gelenkt und kontrolliert, mit besonders staatsnahen und parteitreuen Mitarbeitern bestückt und zusätzlich mit Inoffiziellen Mitarbeitern durchsetzt. Auch Kunst und Kultur waren nicht frei, das konnte jeder in der Verfassung nachlesen: "Die sozialistische Nationalkultur gehört zu den Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft" schrieb Artikel 18 vor. Im Gegensatz dazu sei die "imperialistische Unkultur" zu bekämpfen. Das öffnete der Verfolgung von unabhängigen Künstlern Tür und Tor.

In offen vorgetragenen kritischen Meinungen von DDR-Bürgern sah die Staatsführung in der Regel antisozialistische, konterrevolutionäre Umtriebe, die von den "Sicherheitsorganen" einzudämmen waren. Eine Ausnahme und ein Ventil für die Unzufriedenheit auch treuer Staatsbürger war das Eingaberecht. Es gab Bürgern die Möglichkeit, sich auch mit Kritik bei staatlichen Stellen einzubringen und über Verwaltungsakte zu beschweren, sogar beim MfS.

Das Eingabegesetz in der DDR sah eine Antwort binnen vier Wochen vor. Rund eine Million Eingaben wurden jährlich geschrieben, oft selbstbewusst und in schroffem Ton. Besonders kritische Schreiben konnten auch bei der Staatssicherheit landen, wie zahlreiche Dokumente in den Stasi-Unterlagen belegen.
 

Das Bild zeigt einen Stapel Papiere.

Meinungsfreiheit wurde selbst dann zur Gefahr, wenn sich kritische Geister der Ansichten sozialistischer Vorzeigefiguren bedienten. So geschehen am 17. Januar 1988, als sich Bürgerrechtler an der jährlich staatlich verordneten Demonstration zum Gedenken an die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs. Letztere hatte 1918 den Lehrsatz "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden" formuliert.

Dass die kritischen Demonstranten diesen Spruch am Rande der Kundgebung zeigten, versuchten Parteiordnungstrupps und Stasi-Einsatzkräfte zu verhindern. Mehr als hundert Beteiligte wurden festgenommen – sie hätten zur Verbreitung ihrer Ansichten die "verfassungsmäßige Treuepflicht der Bürger der DDR" verletzt, begründete später das SED-Politbüro. Es folgten Festnahmen und Abschiebungen in den Westen. 

Sputnik-Verbot statt Perestroika

Auch die Presse in der DDR war nicht frei, jede Art von Meinung zu publizieren. Staatliche Vorzensur und Reglementierung sollte das medial vermittelte Weltbild überschaubar und kontrollierbar halten. Als Mitte der 1980er Jahre das große Vorbild Sowjetunion eine Kursschwenkung vornahm und mit Glasnost und Perestroika eine offenere und reformierte Auslegung der sozialistischen Idee anging, war selbst der Bruderstaat nicht vor der staatlichen Zensur der DDR sicher.

Im Herbst 1988 sorgte das Verbot der sowjetischen Illustrierten Sputnik über die Grenzen der DDR hinaus für Aufsehen. Am 18. November wurde der Vertrieb der sowjetischen Monatszeitschrift verboten, nachdem alle bisherigen Ausgaben reibungslos verkauft werden konnten. Der Grund für das Verbot lag in einer kritischen Analyse des Hitler-Stalin-Paktes, der auch Fehler des sowjetischen Führers beschrieb. Erst im November 1989, nach der Öffnung der Mauer, wurde die Zeitschrift wieder zugelassen. 
 

Ermittlungen gegen den "politischen Untergrund"

Um die Meinungsäußerungen der Menschen zu erfassen und unter Umständen auch verfolgen zu können, arbeiteten mehrere Abteilungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) eng zusammen. Grundlegende Informationen lieferte das weit verzweigte Spitzelsystem mit zuletzt rund 180.000 Inoffiziellen Mitarbeitern (IM). Diese Informanten waren in allen Bevölkerungsgruppen der DDR aktiv und unterschiedlichen Abteilungen zugeordnet.

Eine herausragende Rolle spielte dabei die Hauptabteilung IX der Staatssicherheit, zuständig für Ermittlungsverfahren in allen Fällen mit politischer Bedeutung. Ebenso intensiv wirkte die Hauptabteilung XX, zuständig u.a. für den "politischen Untergrund", auf diesem Gebiet. Sie verfolgte oppositionelle Meinungsäußerungen und Handlungen im Bereich von Kirchen, Kultur und Opposition und entwickelte Strategien, diese zu unterbinden.

Durch Einschüchterung versuchte das MfS auch Freiräume für die Artikulation der eigenen Meinung, wie sie beispielsweise die Kirche bot, einzudämmen. Als Bürgerrechtler im Vorfeld der Friedlichen Revolution immer mehr gedruckte Flugblätter und Zeitungen in kirchlichen Räumen produzierten, startete die Stasi am 24. November 1987 eine Razzia in den Räumen der Umweltbibliothek in der Berliner Zionskirchengemeinde. Mitglieder der aktiven Gruppe wurden verhaftet, die Druckmaschine beschlagnahmt.

Um kritische Meinungen zu ermitteln, setzte die Staatssicherheit auch auf die Kontrolle des Telefon- und Briefverkehrs und verletzte damit ein weiteres Menschenrecht.

Razzia in der Umweltbibliothek

Durch Einschüchterung versuchte das MfS auch Freiräume für die Artikulation der eigenen Meinung, wie sie beispielsweise die Kirche bot, einzudämmen. Als Bürgerrechtler im Vorfeld der Friedlichen Revolution immer mehr gedruckte Flugblätter und Zeitungen in kirchlichen Räumen produzierten, startete die Stasi am 24. November 1987 eine Razzia in den Räumen der Umweltbibliothek in der Berliner Zionskirchengemeinde. Mitglieder der aktiven Gruppe wurden verhaftet, die Druckmaschine beschlagnahmt.

Von der Stasi während der Durchsuchung der Umweltbibliothek angefertigtes Foto von den verhafteten Mitarbeitern der "UB": Bodo Wolff, Till Böttcher, Bert Schlegel, Wolfgang Rüddenklau und Tim Eisenlohr (von links nach rechts).

Das MfS unterschätzte allerdings das Aufsehen, das die Razzia in westlichen Medien erregte, die ausführlich darüber berichten konnten. DDR-weite Proteste von Unterstützern der Inhaftierten kamen in Gang, kirchliche Mahnwachen sorgten für neue Öffentlichkeit, vor allem über die Berichterstattung im Westen. Da fast alle Menschen in der DDR West-Fernsehen schauen und West-Radio hören konnten, hatten sie auch Zugang zu nicht kontrollierten Informationsquellen – ein stetes Ärgernis für Partei und Stasi, die ihr bestes taten diese Quellen zu diffamieren. Dennoch: Die Verhafteten kamen frei und inspirierten andere, eigene Meinungen zu artikulieren und zu verbreiten.

Ressourcen des Stasi-Unterlagen-Archivs

Beispiele aus den Stasi-Unterlagen

Theoriepapier

Um besser gegen unliebsame Meinungsäußerungen vorgehen zu können, stellte die Staatssicherheit Überlegungen an, welche Handlungsmöglichkeiten ihr das Volkspolizeigesetz boten. Aus dem Papier wird deutlich, dass auch diese Herangehensweise der Stasi eine Reihe von konkreten Maßnahmen zum Vorgehen gegen unliebsame Meinungsäußerungen bot: Stasi-Mitarbeiter konnten Personen auf Grund einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung zum Einstellen der Meinungsäußerung auffordern. Darüber hinaus erlaubte das Volkspolizeigesetz Verhaftungen, Durchsuchungungen von Personen und Wohnungen sowie Beschlagnahmungen und Auflösung von Veranstaltungen. Wichtig war der Staatssicherheit zudem gegen die Verbreitung von Druckerzeugnissen vorgehen zu können und in die durch oppositionelle Kräfte genutzten Schutzräume der Kirche eindringen zu können.

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Unterdrückte Reaktionen auf China

Als im Mai 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking die Armee demokratische Proteste mit Panzern unterdrückte, fürchtete die Stasi Sympathiebekundungen mit den chinesischen Opfern.


 

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Einbeziehung "gesellschaftlicher Kräfte"

Die Stasi als Schild und Schwert der Partei agierte nicht alleine, sondern band Parteimitglieder der SED in ihr strategisches Vorgehen gegen Oppositionelle und Ausreisewillige ein. Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) stellte dazu 1989 Informationsmaterial bereit, das bewährte Mittel und Methoden in der Auseinandersetzung mit Ausreisewilligen zusammenfasste. Besonders wichtig war dabei die Zusammenarbeit mit systemloyalen Kräften.

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen